Wie kommt man ungewollt zu einer neuen Baustelle? Ganz einfach, man besucht einen Stammtischkollegen in seiner Werkstatt, um sich die Werkstatthandbuch-CD auszuleihen, und der lädt gerade einen Neuankömmling vom Anhänger. Dieser Wagen (der rote) war Bestandteil eines Pakets von zwei 230CE unterschiedlicher Konsistenz. Bissl beguckt, gequatscht, den silberdistelnen (230CE #2) angeschaut und dann fiel die folgenschwere Frage: "Sag mal, willst du die nicht beide haben, für äääähhh, sagen wir dreihundert ?" Erschwerend kam hinzu, daß zu dieser Zeit das Konto grad gefüllt war und der W123-Entzug nun schon 2 Jahre andauerte. Warum immer anderer Leute W123 restaurieren, wenn man mal wieder was für sich machen kann? Akute Baustellen waren grad keine offen, also nach einer Woche Bedenkzeit zugeschlagen. Dies trug sich im November 2008 zu.

So wurde Nils Besitzer eines 80er 230CE in signalrot, Zustandsnote etwa 5- und eines 81er 230CE in silberdistelmetallic, teilzerlegt, abgebrochene Restaurierung und Motorschaden.

Fassen wir zusammen: Das Schicksal des Signalroten war von anfang an klar: Schlachten ! Die Blechsubstanz war katastrophal, dafür hatte er einen gut laufenden Motor mit 276tkm und Wurm-Euro-II-Kat,er hatte also quasi einen Organspenderausweis. Außerdem war er weitgehend komplett und konnte den größten Teil der Anbauteile beisteuern, die der Distel (der Name hatte sich für 230CE #2 eingebürgert) im Laufe der Restaurierung abhanden gekommen waren.

Die Distel sollte wiederauferstehen, da sich die Korrosion auf Radläufe, den linken Innenschweller und einige Kleinigkeiten beschränkte. Schwellerspitzen und Stehwände vorn waren bereits fachmänisch saniert. Der Motor hatte einen Lagerschaden, es war übrigens schon der zweite, der in diesem Gehäuse sein Leben gelassen hat. Die unvollständige grüne Innenausstattung sorgte für verhaltene Begeisterung, eine Lösung sollte sich im Signalroten finden.

Der Signalrote wurde gleich vor Ort geschlachtet, nachdem man sich von der Funktionstüchtigkeit des Motors überzeugt hatte. Dabei gab er schonungslos Einblicke in sein tief verrostetes Inneres, am Heck brachen die Unterstellböcke beim Absenken der Karosserie durch die morschen Seitenmulden des Kofferraums. Am Ende durfte er nochmal Modell stehen, um nahezu alle Schwachstellen zu zeigen, die ein Mercedes W123 aufweisen kann. Dann kam der Schrottlaster und lud die sterblichen Überreste auf. Ein letztes mal setzte er sich zur Wehr, als der Ladekran versuchte, das Dach der greisen Hülle einzudrücken - es hielt stand !

WDB12324310007945 R.I.P (Rest in Pieces)

Kommen wir zum eigentlichen Hauptakteur dieser Story: Die Distel befand sich in augenscheinlich bemitleidenswertem Zustand, doch bei genauem Hinsehen erkannte das W123-erfahrene Auge einige Highlights:Sämtliche Wagenheberaufnahmen sowie die Außenschweller sind original und gesund, ebenso die seitlichen Mulden des Kofferraums. Die Türen sind lediglich an den Dichtungshaltern punktuell angerostet.

Die bereits freigelegten Rostschäden waren alle sehr begrenzt und mit angefertigten Blechen in minimalinvasiver Chirurgie zu behandeln.

Die Planung sah vor, zuerst den funktionsgeprüften Motor aus dem Schlachtobjekt einzubauen. Diese Aufgabe war insofern etwas umfangreicher, da es sich um einen Motor für Schaltgetriebe handelte. Außerdem wurde 1981 eine Schubabschaltung eingeführt, die ebenfalls umgerüstet werden sollte. Fangen wir aber erstmal bei der Hardware an. Ein Umbau auf Schaltgetriebe stand kurz zur Debatte, aber da ein Mercedes ohne Automatik kaputt ist, wurd das ganz schnell wieder verworfen. Der Unterschied zwischen den Motoren besteht in der Schwungscheibe. Bei Schaltgetriebe ist eine massive Schwungscheibe an der Kurbelwelle befestigt, an der die Kupplung hängt. Automatikmotoren haben an dieser Stelle nur eine Mitnehmerscheibe, die den Anlasserkranz trägt und mit dem Drehmomentwandler des Getriebes verschraubt wird. Beim M102 hat Mercedes zum ersten Mal diese Teile getrennt von der Kurbelwelle gewuchtet, so daß hier ein problemloser Austausch möglich war.

Ein heikles Thema waren noch die Getriebeölschläuche zum Ölkühler, der in den Wasserkühler integriert ist. Die Gefahr, daß die korrodierten Verschraubungen abrissen schien zu groß, also wurde der Kühler am Motor festgebunden und mit der ganzen Einheit rausgehoben. Der Motor wurde anschleißend zwischen Kühler und Getriebe weggenommen und der andere Motor eingeschoben.

Zur Nachrüstung der Schubabschaltung mußte das Nebenluftsystem umgetauscht werden, eine Baugruppe die später nochmal etwas Nerven kosten sollte.

Für die anstehende Blechsanierung kam als erste Fingerübung der Kotflügel an die Reihe, der aus der Schlachtung über war. Dieser war wohl wegen eines Unfalls mal erneuert worden, aber mangelhaft konserviert und lackiert worden. Der Abschnitt zur Frontschürze und der Einsatz für den Blinker waren hinüber. Klar, man hätte auch für 55€ einen brauchbaren Nachbaukotflügel kaufen können, was rechts mangels Masse dann auch geschah, aber das ganze Projekt sollte mal so richtig low-budget ablaufen. Im Keller lagen noch die Reste eines anderen Kotflügels, der die Teile spenden konnte. Also Schweißpunkte freigelegt, ausgebohrt und beide Kotflügel in die jeweils 3 Teile zerlegt. Der verbleibene rote Rest wurde dann abgebeizt und am Fahrzeug als Hilfslehre mit neuer Schürze und Blinkerkasten versehen
Als leichte Großbaustelle entpuppte sich der rechte Radlauf, der unter einer üppigen Spachtelschicht etwas fransig daherkam. Als Folgeerscheinung hatte sich im Seitenteil Wasser gesammelt und die Überlappung zum Schweller hin zersetzt. Am Schweller kündete Blasenbildung bereits von drohendem Unheil, dessen Ursprung eindeutig aus der Blechdoppelung kam.

Der Radlauf wurde mit einer Blechschere und dem Fein Multimaster sauber und nur soweit wie nötig herausgetrennt. Nach der Vorlage wurde dann das Reparaturblech mit 1cm Zugabe zur Überlappung beschnitten. Im Seitenteil wurde die Blechkannte abgesetzt, um einen flächigen Anschluß zu bekommen. Der Vorteil dieser Arbeitsweise ist, daß der Bereich durch die Überlappung mehr Stabilität bekommt und die Verzugsgefahr deutlich niedriger ist als beim Arbeiten auf Stoß. Man muß natürlich anschließend den Spalt gut mit Rostschutz füllen, bis er auf der anderen Seite wieder austritt.

Es half nichts, ein gezielter Schnitt im Seitenteil, um eine "Wartungsklappe" zu erzeugen und die Katastrophe wurde sichtbar. Der Schweller war bereits punktuell durchrostet, in diesen Abschnitt wäre anders niemals Ruhe gekommen. Also wurde der Schweller an der Stelle geöffnet und ein Streifen Blech stumpf eingeschweißt.
Danach kam das untere Seitenteil wieder rein. Keine ganz leichte Übung, das Blech stumpf und ohne Verzug der geraden Fläche zu verschweißen. Zuerst einige Heftpunkte setzen und dann die Punkte mit genug Pausen zu einer geschlossenen Naht verbinden.
Links hatte der "Vor-Restaurator" schon ganze Arbeit geleistet und 3/4 des Radlaufs erneuert, es blieben zwei Durchrostungen am Rahmenbogen, der Mercedes Klassiker. Einmal unten am Knick zum Schweller sowie über der Stabiaufnahme.

Diese Ecken waren rechts auch betroffen.

Dann war da noch ein Loch im Innenschweller, zwischen Sitz- und Gurtbefestigung. Ein W123 Klassiker, jedoch immer als Folge von Löchern am vorderen und/oder hinteren Schwellerende. In diesem Fall kam das Wasser von vorne, der Schweller hatte an der unteren Ecke ein kleines Loch zum Fußraum hin. Das Wasser bleibt dann an der tiefsten Stelle im Schweller stehen, das ist hinter dem Fahrersitz auf Höhe der Gurtschraube.
Ein Highlight des Wagens ist ja das ABS, dies bringt jedoch eine weitere, 99prozentige Roststelle mit sich. Zur Aufnahme des ABS-Aggregats hat man um die Schraubpunkte den Radkasten mit einem von hinten aufgesetzten Blech verstärkt. Durch die unteren Schraublöcher läuft Wasser in den Zwischenraum und das obere, dünnere Blech rostet durch. Das Verstärkungsblech war nur oberflächlich angegriffen und konnte wiederverwendet werden.
Parallel zu den Blecharbeiten zog sich dann das Bemühen, dem eingepflanzten Triebwerk Leben einzuhauchen. Auf den ersten Schlüsseldreh tat sich nämlich nichts. Nach bissl Sucherei fand sich unterm Armaturenbrett ein herrenloser Stecker, dessen Kabel zum Getriebe führte. Dieser war unter anderem für die Startsperre verantwortlich und beim Motortausch abgerutscht, wohl etwas doll am Kabel gezerrt. Danach drehte der Anlasser, aber das wars dann. Nächster Verdächtiger war die Benzinpumpe, diese war fest. Kein Thema, die aus dem Roten lag ja im Regal, rein damit und der Motor sprang an. Er lief auch, aber nicht so, wie man es von einem Mercedes erwartet und wie er es vorher auch nicht getan hatte. Es folgte der Check von Zündanlage und Ventilspiel, Dinge die man beim M102 als erstes prüft. Erwartungsgemäß ohne Befund, wie sollte sich auch so plötzlich etwas verändert haben.
Zur Motivationssteigerung also lieber was produktives machen und die Schraubkante nach dem Vorbild von Dirk S. aus dem W123-Forum nachgebaut. Eine sehr kreative Methode, bei der wahrscheinlich sogar das Wasser besser abläuft als beim original. Wenn der Zerfall hinter der Leiste nicht zu groß ist, kann man sogar den Originallack retten, wenn es denn nötig sein sollte.
Nach dem Abschluß der äußerlichen Karosseriearbeiten mußte gespachtelt und gefüllert werden, eine zeitintensive und aufreibende Tätigkeit.

Nebenbei ging die Fehlersuche beim Motor weiter. Das Aggregat hatte keinen Leerlauf, nahm bescheiden Gas an und drehte nur widerwillig aus. Einstellungsversuche an der CO-Schraube oder der Leerlaufschraube blieben erfolglos. Es keimte der Gedanke, daß ein Teil Schuld sein mußte, was nicht zum ursprünglichen Konglomerat gehörte. Wir zählen diese mal auf: Nebenluftgeschläuch, Benzinleitungen, Benzinfilter,Druckspeicher, Tanksieb und Tank. Auch die Kat-Regelung wurde (zu Unrecht) verdächtigt.

Neues Nebenluftgschläuch (knapp 50€ bei Daimler) brachte den Leerlauf und die Gasannahme zurück. Zwischendrin starb wieder die Benzinpumpe, der Griff ins Regal beförderte eine Pumpe aus einem 83er 3er BMW hervor, passt! So lief der Motor zufriedenstellend. Jedoch nicht lange. Bald darauf nahm er wieder sehr schlecht Gas an, drehte nur bis 3000 im Leerlauf , starb bei übermäßigem Gasgeben ab. Nach kurzer Bedenkzeit sprang er dann wieder sauber an, um das Spiel von neuem zu starten. Fahren war unmöglich, da quasi keine Leistungsabgabe erfolgte. Weiter auf der Liste der Verdächtigen: Benzinleitungen. Die Fördermengenmessung am Vorlauf ergab Sollwerte, am Rücklauf jedoch blieb der Meßbecher trocken. Erste Diagnose: Druckspeicher kaputt, die Pumpe hinten pumpt im Kreis. Also Leckleitung am Druckspeicher abgeklemmt, keine Besserung. Also genauere Untersuchung der Einheit Benzinpumpe-Benzinfilter-Druckspeicher. Es traf sich gut, daß die nächste Benzinpumpe ausgestiegen war. Die Dinger liefen auch ungewöhnlich laut. Diese sitzt unter dem Tank und wird von selbigem mittels Schwerkraft gespeist. Also läßt man sinnigerweise den Tank ab, um sich die Panscherei zu ersparen. Zulauf zur Pumpe abklemmen, lösen und in einen Kanister stecken. Es dauerte dann etwa 20 Minuten bis 4l Benzin abgelassen waren. Das konnte so nicht Sinn der Sache sein, wenn die Pumpe 80l/h fördern soll. Also den Tank ausgebaut und ein völlig verkeimtes Tanksieb vorgefunden. Dies hatte auch die letzten beiden Pumpen zerstört, weil sie schlicht trockenliefen, sobald die K-Jetronik vorne Menge abforderte. Im Leerlauf reichte die Menge noch aus, um den Systemdruck aufzubauen. Schönes Spielchen, naja wenigstens kennen wir jetzt die K-Jetronik auswendig.

Auf dem linken Seitenteil hatten sich an der Schweißnaht des Radlaufs Wellen gebildet, wahrscheinlich Verzug durch zuviel Hitzeeintrag. Beim schleifen lief der Klotz immer wieder in die Täler rein, bzw. die Täler wurden beim aufspachteln nicht aufgefüllt. Nach fünf Durchgängen ohne meßbaren Erfolg mußte etwas anderes her: Die Karosseriefeile. Dann wurde in "Pimp my Ride"-Manier flächig und satt aufgespachtelt, wie man es eigentlich nicht macht. Mit der Feile ließ sich das dann ruckzuck in eine ebene Fläche verwandeln, ein feines Werkzeug, wenn auch mittlerweile sehr "old school".
Für die Lackierung hatte sich mittlerweile ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt ergeben, es war Mitte Oktober und das Thermometer näherte sich einstelligen Beträgen. Ein Versuch mit Felgen in der Lackierkammer war erfolgreich, also mal schnell zwei Liter #881 silberdistel metallic bestellt. Der Wagen sollte bis zur Fensterlinie lackiert werden, also mußte an der C-Säule ein Übergang geschaffen werden, der Basislack wird dazu bis etwa in halbe Höhe aufgetragen und der Klarlack bis ins Dach. Die Kotflügel wurden im ersten Durchgang für die Kanten seperat lackiert und für die weiteren Durchgänge dann aufgesetzt, um ein gleichmäßiges Spritzbild zur Wagenflanke zu bekommen.

Den Abschluß bildeten 2 Durchgänge Klarlack. Mehr wäre gut gewesen, um genügend Fleisch zu schaffen, um einige Fehler herauszuschleifen, aber ein Temperatursturz auf unter 5°C hatte sich mittlerweile auf die Halle und das Auto ausgebreitet. Die Nacharbeiten sind also aufs Frühjahr verschoben.

Aber fürs erste Mal kann man mit der Lackierung zufrieden sein, die nächste wird besser.

Es blieben noch einige kleine Löcher, die aufgeschoben worden waren, um vor dem Kälteeinbruch lackieren zu können. Eine böse Ecke hielt dabei die linke Schwellerspitze bereit, wo sich der Rost bereits in die Fußraumecke vorgearbeitet hatte. Hier treffen sich Fußboden, Stirnwand, Schwellerdeckel und Außenschweller, zusätzlich sitzt noch der Pedalschutz davor. Alle genannten Teile bekamen stumpf eingepaßten Teilersatz.
Blieb noch das durchgerostete Schiebedach, beim W123 immer wieder gern genommener Anlaß für Wasser im Auto. Bei diesem hatte es den Ablauf vorn links erwischt, Röhrchen komplett zerbröselt und die Halteschiene für das Dichtgummi aufgeknuspert.

Die Schweißarbeiten am Rahmen sind das eine, viele tauschen auch einfach den ganzen Rahmen. Coupe Rahmen sind selten und deshalb auch teuer, dieser war an den anderen 3 Ecken top, also wurde geschweißt. Das Ablaufröhrchen kam aus einem geschlachteten BMW E30, bei denen rostet das nicht, weil tauchbadlackiert mit der Karosserie,ist ansonsten auch alles Webasto.

Der wirkliche Zonk ist der Ein- und Ausbau der Konstruktion: Fensterschlüssel raus, Himmel (heile) raus, Fensterdichtung seitlich raus, Zug aushängen. Zum Glück geht das Teil beim Coupe seitlich raus, weil keine B-Säule. In der Limo nur durch die (ausgebaute) Heckscheibe oder bei ausgebauten Vordersitzen durch die hintere Tür mit verbiegen der Röhrchen.

Hinterher muß der Himmel wieder heile und faltenfrei rein und die Dichtgummis wieder in die Aluprofile pfriemeln. Zeit nehmen, öfter mal zwischendurch Pfoten waschen und NICHT aufregen.

Um das ganze dann noch für die Ewigkeit zu konservieren, kamen 5kg Mike Sanders Fett ins Auto, da sollte nix mehr rosten.
Nach dem Fetten konnte dann die Ausstattung rein. Diese Bestand aus den Sitzen und Verkleidungen vom Roten, einem neuwertigen Veloursteppichsatz aus einer 3.Serie aus Ebay und einem Satz neuer,schwarzer Ripsmatten.

Die Rückbank war von der längeren, unsachgemäßen Lagerung teilweise zerfallen und bekam neue Pfeifen und Einfassungen sowie neue Pappstreifen umlaufend. Danach einmal im Schonwaschgang in die Waschmaschine, ohne schleudern und alle Flecken waren raus.

Nach endlosen Kleinarbeiten gings dann endlich auf Probefahrt und bei einer abendlichen Tour wurden diese Bilder von Falk gemacht: